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Dario Fo. Zeichnungen und Malerei
Dario Fo | Franca Rame
Dario Fo kam 1926 in einem Dorf in der Nähe des Lago Maggiore zur Welt. Sein Vater war ein sozialistisch gesinnter Bahnhofsvorsteher und Schauspieler in einer Laiengruppe, seine Mutter eine talentierte Autorin: Ihr Buch über ihr Leben und die Geschichte ihres Dorfes, „Das Dorf der Frösche”, erschien in den Siebzigern. Sein Großvater fuhr mit einem Pferdewagen voll Gemüse über Land und erzählte, um Käufer anzulocken, groteske Geschichten, in die er aktuelle lokale Nachrichten einflocht. Dario lernt so, neben seinem Großvater sitzend, den erzählerischen Rhythmus. Auch sonst wächst der Junge in der Schule des nicht offiziellen Erzählens auf: als leidenschaftlicher Zuhörer der Glasbläser und Fischer, die in den Gasthäusern, am Hafen und auf den Dorfplätzen paradoxe und groteske, mit scharfer politischer Satire gewürzte Märchen zum Besten geben.
Die Familie Fo zieht nach Mailand um. Dario und seine Geschwister lesen Marx und Gramsci, Brecht, Majakowskij und Garcia Lorca. In diesen Nachkriegsjahren bricht eine Art Theaterrevolution in Italien aus, vor allem Dank der Etablierung der ersten teatri stabili, der Repertoiretheater in den Städten (das berühmteste ist heute noch das Piccolo Teatro di Milano). Dario Fo ist zunächst ein unersättlicher Zuschauer, dann arbeitet er aktiv mit, zunächst als Bühnenbildner, dann als Schauspieler. Zu dieser Zeit lernt er Franca Rame kennen, die aus einer uralten Theaterfamilie stammte: Seit dem 17. Jahrhundert waren sie Schauspieler, Puppen- und Marionettenspieler. Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Onkel und Tanten Franca Rames bildeten mit anderen Schauspielern eine Truppe, die übers Land fuhr und Improvisationen aus der Commedia dell’Arte zeigten, ebenso aber auch Schauspiele nach Bibeltexten, Stücke von Shakespeare, Tschechow oder Pirandello, auch Romandramatisierungen aus dem 19. Jahrhundert, die häufig sozialistische und antiklerikale Ideen transportierten. In diesem Ambiente lernte Franca Rame ihr Metier. Sie sagte: „Mit acht Tagen hatte ich mein Debüt im Arm meiner Mutter, … geredet habe ich an jenem Abend allerdings nicht viel.”
In der Spielzeit 1951–1952 lernten sich Franca und Dario bei Bühnenproben kennen, sie küssten und verlobten sich hinter den Kulissen. 1954 heirateten sie. Von diesem Augenblick an leben und arbeiten sie eng zusammen. Dario ist Autor, Schauspieler, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner, Franca ist die Hauptdarstellerin und kümmert sich um die Organisation ihrer neugegründeten Schauspieltruppe. Zu dieser Zeit wird im Piccolo Teatro Dario Fos Stück „I sani da legare” aufgeführt, die christdemokratische Regierung unter Mario Scelba verlangt Striche und Änderungen am Text, trotz der Einflussnahme durch die Kirche und Regierung bleibt das Stück auf dem Spielplan: Der Publikumserfolg ist enorm.
Das nächste Stück dann, „Die Erzengel spielen nicht Flipper”, bringt den internationalen Erfolg, obwohl die italienische Zensur wieder einmal Änderungen zu erzwingen versucht. Das Stück wird in Holland, der Tschechoslowakei, in Polen und Spanien aufgeführt. 1962 erhalten die beiden den Auftrag vom RAI, für die populäre Sendung Canzonissima Sketche zu schreiben und zu spielen. Die Folgen sind Auseinandersetzungen, ja Aufruhr. Zum ersten Mal wird im italienischen Fernsehen vom Leben der Arbeiter gesprochen: von den Vergiftungen bei der Arbeit mit gesundheitsschädlichen Stoffen, von den Maurern, die von ungesicherten Gerüsten stürzen usw. Mit fast 15 Millionen Zuschauern ist die Sendung ein Straßenfeger. Aber diesmal gewinnt die Zensur; unter Protest treten die beiden zurück. Ihr Siegeszug auf den Bühnen des Landes ist jedoch ungebrochen.
1973 wird Franca Rame von einer faschistischen Gruppe entführt und vergewaltigt; damit sollen Darios und Francas politische Aktivitäten gerächt werden. (Dieses Erlebnis hat Franca Rame in dem Text „Die Vergewaltigung” zu verarbeiten versucht.) Im selben Jahr wird Dario in Sassari verhaftet, weil er Widerstand leistete, als die Polizei während einer Aufführung in den Saal eindringt, um die Vorstellung abzubrechen.
Seit 1977 schreibt Franca selbst Stücke. Mit „Nur Kinder, Küche, Kirche” beginnt ein neuer Abschnitt ihrer Karriere. Über tausendmal führt sie die tragischen und komischen Monologe im In- und Ausland auf. Gleichzeitig wird das Stück in zahllosen Ländern nachgespielt. 1980 gründen sie zusammen mit ihrem Sohn Jacopo die Libera Università Alcatraz, ein Kulturzentrum in der Nähe von Perugia. Parallel zu seiner Tätigkeit als Theatermann werden übrigens immer wieder in beachteten Ausstellungen die Werke des bildenden Künstlers Dario Fo gezeigt.
Als erster Italiener überhaupt wird 1990 Dario Fo von der Comédie Française eingeladen, zwei Komödien von Molière zu inszenieren. Die Vorstellungen werden ein triumphaler Erfolg. Am 9. Oktober 1997 geht die Nachricht aus der Schwedischen Akademie um die Welt: „Der Nobelpreis für Literatur wird Dario Fo verliehen, weil er, zusammen mit der Schauspielerin und Schriftstellerin Franca Rame, in der Tradition der mittelalterlichen Spielleute die Macht verhöhnt und den Unterdrückten ihre Würde zurückgibt.” Sie beschließen, das Preisgeld behinderten Menschen zu spenden. 2011 wird in Chiasso die Ausstellung „Dario Fo. Die Malerei eines Erzählers” eröffnet. Und im selben Jahr wird ihm und Franca Rame vom Staatspräsident Giorgio Napolitano im Quirinal zu Rom der Premio Vittorio de Sica verliehen.
Das Ehepaar Fo / Rame veranstaltet in regelmäßigen Abständen Kurse an der Freien Universität Alcatraz, die von Hunderten von Teilnehmern aus aller Welt besucht werden. Hier entsteht übrigens auch ein ökologisches Sonnendorf, in dem mit Hilfe neuester Technologien behinderte Menschen unabhängig wohnen können und das von Fo und Rame ins Leben gerufene „Nobel-Komitee für die Behinderten” beteiligt sich am Bau eines Hauses „der anderen Geschicklichkeiten”.
Die beiden gehören zu den ganz Großen des zwanzigsten Jahrhunderts. Am 29. Mai 2013 starb Franca Rame 84jährig. Trotz schwerer Krankheit war sie bis zuletzt aktiv.
„Wir glauben, dass Klagen falsch ist. Du weinst, gehst traurig nach Hause, sagst: ‚wie schön hab ich geweint‘, und schläfst erleichtert ein. Nein, wir wollen euch zum Lachen bringen. Ein gewisser Molière hat gesagt, um lachen zu können, muss man intelligent, scharf, offen sein, eine witzige Stelle aufnehmen zu können. Es öffnet sich nicht nur der Mund beim Lachen, sondern auch das Gehirn …”
Franca Rame
(Gekürzt nach Domenico Pertocoli)